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Kortison – Freund oder Feind?

Es liegen drei mühsame Tage Kortison-Stoßtherapie hinter mir. Ich fühle mich schlechter als vor diesen Tagen.

Ich bin seit einiger Zeit in der MS-Ambulanz im Jüdischen Krankenhaus bei Prof. Dr. Haas in Behandlung. Als ich das letzte Mal bei ihr war, konnte ich meine Verzweiflung nicht mehr verbergen und bat sie inständig, mir irgendwie zu helfen. Mein Schwindel hindert mich immer mehr daran, am Alltag teilzunehmen und jeder Gang vor die Tür fällt mir schwer. Daraufhin sah sich Prof. Haas nochmals meine MRT-Bilder an und erklärte mir, dass eine Läsion in meinem Kopf direkt am Gleichgewichtssinn sitzt und diese für den ständigen Schwindel verantwortlich sein kann. „Besteht denn die Hoffnung, dass dieser Schwindel irgendwann wieder weg geht?“, fragte ich frei heraus. „Normalerweise gleichen die Patienten diesen Schwindel innerhalb kurzer Zeit wieder aus“, so ihre Antwort. Ich war froh, dass mir endlich mal jemand erklärte, wo genau meine Herde im Kopf sitzen und dass diese wohl doch zu meinen Symptomen passen. Doch leider nahm mir die Antwort dennoch ein wenig die Hoffnung auf Besserung. Nach 2,5 Jahren ist der Schwindel immer noch da und war nicht einen einzigen Tag weg. Mein Gleichgewichtssinn scheint sich demnach nicht wie bei anderen MS-Patienten ausgeglichen zu haben. Während ich diese Erkenntnis bekam, wäre ich am liebsten weinend im Arztzimmer zusammengebrochen. Doch Prof. Haas schlug mir vor, noch einmal eine Kortison-Therapie zu machen, da sie vermutet, dass in meinem zentralen Nervensystem immer noch eine Entzündung in Gange ist und das Kortison diese bekämpfen könne. Ich probiere alles aus, was mir Hoffnung auf Besserung gibt und so ging ich letzte Woche jeden Tag um 11 Uhr in die Ambulanz und ließ mich an die Infusion anstöpseln. Nach 5 Stunden in einem Raum mit 8 anderen MS-Patienten und den ganzen Gruselgeschichten über den Verlauf der Krankheit und missglückten Therapiemethoden wankte ich völlig aufgeputscht von dem Medikament in meinem Blut aus dem Krankenhaus heraus. Der Kontakt zu anderen Betroffenen tut einerseits gut, andererseits machen mich die Berichte und Verläufe der anderen fix und fertig. Kortison hat bei mir bereits beim letzten Mal enorme Nebenwirkungen gezeigt, gepaart mit den geführten Gesprächen in der Ambulanz war ich dieses Mal bereits am zweiten Tag der Therapie nur noch ein Häufchen Elend. Man brauchte mich nur im falschen Ton ansprechen und ich brach sofort in Tränen aus. Ich konnte nachts nicht schlafen, mein Körper war unendlich schwach, mein nervöser Geist hinderte mich jedoch daran, Ruhe zu finden. Meine Seele befand sich in einem Meer aus Tränen.

Für meine Umwelt bin ich momentan unerträglich. Ich versuche, mich nicht abzuschotten und weiterhin Freundin, Partnerin, Schwester, Tochter, Referendarin und Beraterin zu sein, doch ich merke, wie mir alles über den Kopf wächst, ich niemandem gerecht werden kann und mich jede noch so kleine Kritik völlig aus der Bahn wirft. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Zuvor hat mich der Sport in solchen Situationen aufgefangen, doch ich fühle mich nach dem Kortison noch wackeliger auf den Beinen als zuvor und unendlich schwach. Ich habe das Gefühl, selbst den Sport nicht mehr auf die Reihe zu bekommen. Jede noch so kleine Bewegung erfüllt mich mit Unwohlsein. Mein Neurologe hat mir inzwischen Antidepressiva verschrieben, das ich seit einigen Tagen einnehme. Ich kümmere mich außerdem um eine Psychotherapie. Ich WILL ja wieder auf die Beine kommen. Nichts will ich mehr als das. Aber ich glaube, dass ich das alleine gerade nicht schaffe.